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  Weltföderalismus  
           
    aus dem Hamburger Abendblatt, Januar 1993, Nr.5

Eine Himmelfahrt ins Nichts?
Weltbürger diskutieren in Hamburg globale Zukunftsprobleme

Unser Planet gefindet sich in einer gefährlichen Krise: Ozonlöcher, Treibhauseffekt, Bevölkerungsexplosion, Umweltzerstörung, Flüchtlingsströme, persönlicher wie kultureller Identitäts- und Werteverlust, Neofaschismus, UNO-Einsätze in Somalia und auf dem Balkan.
"Je nachdem wie der Mensch auf diese globalen Herausforderungen reagiert, ergeben sich drei denkbare Zukünfte: das katastrophale Ender der Menschheit, eine enthumanisierte totalitäre Robotergesellschaft oder eine solidarische Weltföderation." So steht es im Grußwort des Politologen Ossig Flechtheim, wissenschaftlicher Vater der Futorologie (Zukunftsforschung), zum Internationalen Weltbürgertreffen vom 8. bis 10. Januar in Hamburg.
Wesentlich pessimiestischer als Flechtheim, der Ehrenpräsident der deutschen Weltföderalisten sit, sieht ein anderer Teilnehmer die Zukunft der Welt, der Ex-Parlamentarier Herbert Gruhl. "Ich weiß, angesichts der Globalität der Probleme, daß eine Art ökologisches Weltbürgertum überlebensnotwendig wäre. Aber ich glaube nicht mehr daran, daß die Leute dies noch rechtzeitig genug realisieren."
Läßt Flechtheim in seinem Buch "Ist die Zukunft noch zu retten?" die existentielle Frage bewußt offen, um für ein globales Krisenmanagement im Rahmen der zu einer demokratisch legitimierten Weltföderation weiterentwickelten UNO zu plädieren, so signalisiert der neueste Buchtitel des Bestsellerautoren Gruhl (u.a. "Ein Planet wird geplündert") eine "Himmelfahrt ins Nichts".
Um diesen tödlichen Fortschiritt zu vermeiden, treffen sich die WEltföderalisten zu ihrer Tagung mit dem Thema "Reform der Vereinten Nationen und Neonationalismus".
Die politisch grundlegende Idee einer Weltföderation entwickelte sich vor etwa 125 Jahren. In den Vereinigten Staaten schrieb 1868 Francis Vincent über eine Welt, geordnet durch eine der USA ähnliche Verfassung. Zwei Jahre später zeichnete der Japaner Ono Azura das Bild einer vereinigten Weltregierung, geleitet von übergeordneten Gesetzgebern und ehrlichen wie fähigen Verwaltern.
Der Verlauf der Geschichte mit den Zerstörungen des Ersten und Zweiten Weltkrieges zeigt, wie wenig vorbereitet die Menschen für solche Forderungen waren. Die Weltföderalisten galten als unverbesserliche Utopisten und führten ein Schattendasein.
Das sollte sich im Oktober 1945 ändern. Enttäuscht von der Struktur der UNO, die aus souveränden Nationalstaaten zusammengesetzt war und von denen einige das Vetorecht besaßen, veranstalten Clark und Owen Roberts (Richter am höchsten US-Gerichtshof) eine Konferenz führender Internaionalisten in Dublin, New Hampshire.
Obwohl ursprünglich geplant war, Programme zur Verbesserung und Stärkung der UNO zu unterzeichenen, stand am Ende eine Deklaration für eine universale föderalistische Weltregierung. Während der ersten Jahre ihres Bestehens koordinierte der Dachverband der Weltföderalisten die Aktivitäten von etwa 60 Gruppen in 29 Ländern. Im Jahre 1950 zählte der Verband 151 000 Mitglieder.
Dennoch verlor die Bewegung in den flgenden Jahren aus verschiedenen Gründen Mitglieder. Zum ersten beschlossen die meisten Föderalisten in Europa, sich auf das u konzentrieren, was sie als das unmittelbare Ziel ansahen: die europäische Föderation voranzutreiben. Folgenreicher vielleicht aber waren die für die Bewegung lähmende Wirkung der Sowjetunion unter Stalin und der kalte Krieg. Eine Weltföderation erschien zu diesen spannungsreichen Zeiten den meisten als utopisch.
Wahrscheinlich klang die weltföderalistische Willenserklärung damals nicht nur hochidealistisch, sondern angesichts der Ost-West-Spaltung und eines drohenden Atomkrieges auch reihclich surrealistisch. "Als Weltföderalisten verstehen wir die Welt als eine Gemeinschaft ... Wir erklären, daß die Prinzipien eines gemeinsamen Lebens, die Grundlage jeglicher zivilisierter Existenz, auf die internationalen Beziehungen angewandt werden müssen. Zu diesem Zweck verlangen wir einen raschen Fortschritt in der Entwicklung demokratischer Weltinstitutionen für ein Weltrecht, durch das die Menschen und Nationen der Erde ihre Beziehungen friedlich und gerecht regeln lönnen, um eine ökologisch vertragliche Weltgemeinschaft zu schaffen..."
Eine schöne Utopie? Und dennoch bildet das Bestreben des Weltföderalismus (heute zählt der Verband wieder 30 000 Mitlgieder), legale und politische Macht in Weltinstitutionen einzusetzen, um sich wirkungsvoll mit den globalen Problemen zu befassen, vielleicht die einzige Antwort auf dem steinigen Weg ins 21. Jahrhundert.

von Stephan Mögle-Stadel

 


 

 

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