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  Schulprojekt Weltbürgerkunde, Entstehung / Theorie  
           
   

Infolge von Vorträgen und Workshops von Stephan Mögle-Stadel anlässlich der 3. Kinderrechte-Fachtagung vom 14. bis 17. November 2002 im Rathaus Leipzig erschien nachfolgender Essay in der Anthologie "Leipziger Kinder-Schuleltern-Lesebuch", Forum Verlag Leipzig 2003.

Orientierung in einer sich globalisierenden Welt

Leipzig ist überall. Aber auch New York, Bogota, Belfast, Kairo und New Delhi. Im Kampf, nicht der Kulturen, sondern der Wirtschaftsstandorte unterliegen mittlerweilen alle diese Städte
denselben weltwirtschaftlichen Bedingungen. Hoch-Technologie und modernes Verwaltungs-management verändern ihre Auswirkungen unter der Vorherrschaft von Hyper-Effektivität. Rationalisierungszwang und Profitcenter-Priorität. Die Menschen und darunter auch die schwächsten Glieder in der menschlichen Generationenkette, Kinder und Jugendliche, leiden zunehmend unter der Technokratisierung und Bürokratisierung ihrer Lebenswelt. Die Herrschaft (griechisch kratos) von wirtschaftlicher Technologisierung und verwaltungstechnischen Vorschriften bedroht als Schatten einer einseitigen Globalisierung mittlerweilen sogar Demokratie und Menschenrechte. Es gibt auch ein Menschen- und Kinderrecht auf grüne Abenteuerspielplätze inmitten der Grobstadt, auf temporeduzierte Spielstrassen, auf saubere Atemluft (statt chronischer Bronchitis)...

Der Workshop "Große Welt - international und global", mit dem die Stadt Leipzig dankenswerterweise die Problematik der Globalisierung mit der Notwendigkeit von speziellen Kinderrechten verbunden hat, beschäftigte sich mit der Frage der Zukunftsgestaltung. Werden die Schüler von Heute die Arbeitslosen von Morgen sein? Wie können sich Jugendliche nicht nur als Opfer von Weltwirtschaft und Parteienpolitik begreifen (und aus vielen Opfern werden leicht irgendwann rechts- oder linksextreme Täter), sondern sich konstruktiv einmischen? Welcher zusätzlicher Schlüsselqualifikationen bedarf es, damit die nächste Generation einwilligt, eine Bürgschaft für die Biosphäre Erde, für ein mensch(heit)liches Miteinander und für eine internationale rechts- und sozialstaatliche Ordnung zu übernehmen? Wie werden unsere Schulen den radikalen Herausforderungen der sich stetig beschleunigenden ökologischen, technologischen, wirtschaftspolitischen, multikulturellen und psychologischen Entwicklungen in ihrer miteinander zusammenhängenden ("vernetzten") Komplexität gerecht? Oder sind Erziehung und Bildung dabei zu kapitulieren?

OECD, MAI-Vertrag und PISA-Studie: Wer angesichts des zunehmenden Drucks von reibungslosen Technologisierungsabläufen und aktienkursfixierter Gewinnmaximierung nur nach der wirtschaftlichen Anpassungsfähigkeit der Schüler und ihrer Lehrer fragt, als wenn diese zu marketing-konformen Dienstleistungsfak-Toren und allzeit bereit-willigen Konsum-Enten mutieren sollten, verfehlt das Wesentliche der Globalisierungs-Frage. Letztendlich er-fordert (und damit müssen wir zuallererst beginnen) die zunehmende Globalität ein ihr gewachsenes und an ihr wachsendes "Globales Verantwortungs-Bewusstsein".

Globalisierung, selbst ein relativ neuer Hilfs-Begriff (1996 zum Wort des Jahres gewählt), erfordert eine begriffliche Erweiterung unseres Denkvermögens und unseres sprachlichen Ausdrucksvermögens zur Beschreibung komplexer Zusammenhänge. Vormalige Fremdworte wie z.B. "Workshop", meint Arbeitsgruppe, werden zu einem Bestandteil unserer sich stetig verändernden ("globalisierenden") Alltagssprache. Neue Alltagsworte wie z.B. "Technokratisierung", vormals eher ein soziologischer Fachbegriff, wie einst auch jener der griechischen Antike entstammende und im Mittelalter zeitweise vergessene Begriff der "Demokratisierung", müssen in ihrer auch assoziativen Bedeutung erkannt und gekannt (gekonnt!) werden, will der moderne Mensch als Zeitgenosse bewusst-seinsmässig auf der Höhe und in der Tiefe der zeitlichen Entwicklung anwesend bleiben.
Die Globalisierungs-Krise ist eben auch eine neuro-linguistische (eine nervenwelt-sprachliche), eine wahrnehmungs-psychologische und eine seelisch-metamorphologische Krise. Unsere neuronale Feinstruktur im Gehirn verändert sich seit den 60er Jahren zunehmend. Es ist daher auch kein Zufall oder gewohnheitsmäßiger Habitus, dass in diesem Einstiegsabschnitt einige "Fremdworte" und Nebensatzkonstruktionen verwendet werden, die einige Lehrer selbst ihren Abiturienten nicht mehr zutrauen bzw. zumuten würden: Ein Fehler humanistisch ummäntelter Denk-Faulheit, welcher letztendlich zu einem kulturellen Menozid, einem kollektiven Gedächtnisverlust, führt. Und wer nicht gewillt ist, sich eine multi-kulturelle und historisch-soziologische Ausbildung anzueignen, dessen oberflächliche Einbildungen werden ihn dazu verdammen die Fehler der scheinbaren Vergangenheit in neuer Variation zu wiederholen.
Und in einer hochtechnologisierten Welt können dies sehr selbstmörderische Wiederholungsfehler sein. (Anm.: Im Unterricht reduziere, thematisiere und erkläre ich die "Fremdworte" bzw. lasse sie von den Schülern untereinander klären bzw. erarbeiten, so dass die "Fremdworte" zu Bestandteilen des Sprachschatzes werden. Zudem sind frei gesprochene Sätze in der Regel kürzer als ein für ein erwachsenes Publikum geschriebener und konzentrierter Text.) Schüler und junge Menschen müssen zwar verstandesmäßig, sprich "konkret intellektuell", gefordert und zeit-weise sogar herausgefordert werden, aber eine permanente und nur begriffsmäbig-abstrakte Über-Forderung wirkt kontraproduktiv: die jungen Menschen schalten geistig ab. Dieses Abschalten passiert genauso bei der Unterforderung und bei der gefühlsmässigen Abneigung gegen alles Intellektuelle und Globale. Im globalen Dorf wird das nur lokale, geigen- oder gitarrenspielende Gesangsvereinsmitglied oder der nur Technomusik konsumierende Dorfdisko-Tänzer und Comic- bzw. BILD-Leser letztlich zum totalen und banalen Dorftrottel, zu einer Nummer im globalen Warenverkehr der multinationalen Konzerne.

Damit ist ein erster kognitiver Rahmen für eine Globalisierungs-Pädagogik skizziert. Sie muss zu eigenständigen, der Komplexität angemessenen Denk- und Formulierungsprozessen hinführen. Dies beinhaltet auch die Fähigkeit zur Kritik an gesellschaftlichen Fehlentwicklungen und zum gedanklichen Entwurf alternativer Möglichkeiten. Zum Ausgleich dieser denkerischen Leistungen und zur Schulung der emotionalen Verbindung des Einzelnen mit der Planetarisierung der Menschheit braucht es auch noch andere Herangehensweisen. Dazu gehören z.B. kontemplative Phantasiereisen um die Erde, eventuell beginnend mittels eines grossen Leuchtglobus im abgedunkelten Raum(Astronautenperspektive), Visualisierung anderer Kulturen mittels kulturgerechter Kleidung (Kaftan, Sari, Kimono etc.),szenischen Rolllenspielen, gemeinsamen Kochen von aussereuropäischen Gerichten, Erraten landesspezifischer Gerüche (auch via Duftlampen). Die zusätzliche Verwendung von guten Dokumentarfilmen, als Gegengewicht zu dem alltäglichen TV-Schrott, ist wünschenswert. Desweiteren hilft das Einstudieren fremdländischer Volksmusik, Rhythmik und Körpersprache (Tänze), inklusive Präsentation in der Schulaula, Phantasiekräfte und Motorik (Lernen durch Nachahmung) der Schüler in Bewegung zu bringen. Hierbei können durchaus erlebnispädagogische Elemente in den Unterricht integriert werden.

Lehrer als Vorbilder, auch ausserschulisch, im sozialen und ökologischen Engagement gemeinsam mit den Schülern - inklusive Strassentheater und der vereinsrechtlichen Gründung (Planspiel) oder Unterstützung von Bürgerinitiativen. Erlernen von Mitteln der ffentlichkeitsarbeit: von der Organisation von Pressekonferenzen über Interviewtechniken und der Auswertung sowie der Präsentation von Strassen- oder Nachbarschaftsumfragen bis hin zum Verfassen journalistischer Texte (z.B. Nachrichten, Veranstaltungsberichte und Pressemitteilungen).
Selbst wenn dies unter den heutigen strukturellen Bedingungen noch nicht Schulalltag werden kann (warum eigentlich nicht?!), so lassen sich viele dieser, den normalen Unterrichtsrahmen sprengender Lernerfahrungen wenigstens zweimal pro Jahr in Projektwochen realisieren.

 

Nachfolgend soll nun ein kurzer entstehungsgeschichtlicher und ein praktischer Einblick in das Schulprojekt Globalisierung und Weltbürgerkunde gegeben werden.

1. Entstehungsgeschichte
2. Oberstufenprojekt-Tag(e) an Leipziger Schulen
3. Workshop zur 3. Kinderrechte-Fachtagung der Stadt Leipzig
4. Projektwoche (5 Tage)
5. Projektepoche (3 - 4 Wochen), eventuell mit Exkursion


1. Entstehungsgeschichte

Vom 27. bis 30. September 1995 veranstaltete die Gorbatschow-Stiftung in San Francisco ein "State of the World Forum", eine Wochenendtagung zum Zustand der Welt. Hans-Peter Martin,
ein renommierter SPIEGEL-Redakteur gehörte zu den wenigen Journalisten, welche an der eher inoffiziellen Tagung von 500 Spitzenvertretern aus Weltpolitik, Weltwirtschaft, Weltmedien und Eliteuniversitäten teilnehmen durfte. Ein anderer Journalist, der Autor dieser Zeilen, konnte sich über gute Beziehungen zu einem Mitglied des Club of Rome wenigstens das Tagungsprogramm und drei Arbeitspapiere organisieren.
Anlässlich dieser Veranstaltung im Fairmont-Hotel benutzten einige Redner das Wort "Globalization" als Sammelbegriff für eine Vielzahl von neuzeitlichen Phänomenen und gesellschaftlichen Trends. Ein Jahr später, am 23. September 1996, erschien der SPIEGEL mit der Titelgeschichte "Total Global - Wie der Turbo-Kapitalismus die Welt verändert", geschrieben von den beiden Redakteuren Hans-Peter Martin und Harald Schumann. Zeitgleich erschien deren Buch >Die Globalisierungs-Falle<. Damit wurde auch in Deutschland fast über Nacht das Wort "Globalisierung" populär. Mein Buch >Die Unteilbarkeit der Erde< erschien Ende Oktober 1996. Am 9. Dezember, dem Vorabend des Gedenktages der Erklärung der Menschenrechte (auf welcher auch die UN-Kinderrechtserklärung basiert) gab es zu dem Thema Globalisierung im Bonner Universitäts-Club eine Podiumsdiskussion mit u.a. Harald Schumann, Anton-Andreas Guha von der Frankfurter Rundschau und mir. Mittlerweilen hatte ich erfahren, dass der ehemalige Nationale Sicherheitsberater der USA, Zbigniew Brzezinski, in San Francisco von einer kommenden 20:80-Gesellschaft gesprochen hatte und dass man die eigentlichüberflüssigen 80 % der Bevölkerung mit "tittytainment" (eine Kombination aus dem amerikanischen Dialektwort "titty" für Euter bzw. Muttermilchbrüste, sprich Arbeitslosen- und Sozialhilfe plus Gelegenheitsarbeiten, und "entertainment" für Zeitvertreib bzw. amüsant-oberflächliche Unterhaltung) bei Laune halten sollte. Um diesem Zynismus der Macht und der Verdummung der nachfolgenden Generation nicht nur publizistisch entgegenzuwirken, hatte ich dann im März 1997 unter der Supervision des pädagogisch und sozialwissenschaftlich orientierten Barkhoff-Institutes ein erstes Projektwochen-Konzept zur Weltbürgerkunde entwickelt.

Inspirierend wirkte hierbei auch die Eröffnungsrede vom 16. September 1996 des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog vor dem 41. Historikerkongress in München. "An die Historiker appellierte Herzog, mit einem global orientierten Geschichtsunterricht bei der nachwachsenden Generation ein weltoffenes Bewusstsein zu fördern.", wie die Deutsche Presseagentur dpa berichtete. Im Wortlaut sagte Herzog u.a. "Wir stehen an einem Epochenwechsel. Der Nationalstaat ... hatsich überlebt. (...) Die Geschichtswissenschaft muss sich in besonderem Mabe um die Geschichte der aussereuropäischen Länder kümmern, aber nicht additiv, sondern integrativ. (...) Soll sich das Verhältnis zu den anderen Regionen der Welt friedlich gestalten, so müssen wir mehr voneinander wissen." Im Jahr 1996 erschien auch die Buchübersetzung >Der Kampf der Kulturen< des US-Regierungsberaters Samuel Huntington. Roman Herzogs Worte standen in einem konstruktiven, weltbürgerlichen Kontrast zu diesem friedenspädagogisch destruktiven Kampfaufruf.

 

2. Oberstufenprojekt-Tag(e) an Leipziger Schulen

Da aufwendige Projektwochen nicht an allen Schulen immer möglich sind, bietet sich als Einstieg auch ein oder mehrere Projekttage an. Ein Projekttag für die Oberstufe, i.d.R. 10.
bis 13. Klasse, manchmal auch 9. bis 12. Klasse, kann sich je nach Absprache wie folgt gestalten: Vormittags 75 Minuten Dia-Vortrag (mit Interaktion zwischen Vortragenden und Schülern) zum Thema Globalisierung in den Bereichen Weltwirtschaft / Technologie, Weltpolitik / Recht / Staat sowie Kultur / Ethik / Zivilgesellschaft; 20 - 30 Minuten Fragen und Diskussion; Pause; 75 Minuten Dia-Vortrag zu einer beispielhaften historischen Persönlichkeit (z.B.
UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld), welche Globalisierung positiv gestaltet hat; Mittagspause. Nachmittags 90 Minuten Workshop mit Schülern und Lehrern entweder zum Thema Gestaltung einer Projektwoche oder stattdessen eine Freiwilligen-AG zum Thema Journalismus und Schriftstellerei. Am Abend ein öffentlicher Vortrag zum Thema "Globalisierung, Krise und Jugendpädagogik" oder "Werbemanipulation, Sexualisierung und Drogenkonsum" oder zur Thematik von einem meiner Bücher.

Im September 2001 fand der erste Projekttag in der Leipziger Waldorfschule auf Anregung von Schuleltern und des Religionslehrers Herrn Scheffler statt. Zwei Lehrer, Frau Hadamovsky und Herr Fiedler, übernahmen die Organisation. Am 11. September erschien in der Leipziger Volkszeitung auf der Seite "Leute in Leipzig" eine positive Besprechung der Veranstaltung. Durch die beeindruckende Initiative der Oberstufenschülerin Juliane Eichhorn, welche eine Studienarbeit über das Buch "Dag Hammarskjöld - Vision einer Menschheitsethik" schrieb, veranstaltete das Rudolf-Hildebrand-Gymnasium (unter der Leitung des Direktors (Herrn Neumann) im Juni 2002 zwei Projekttage, als Ouvertüre zu einer Projektwoche, für die der Gewandhaus-Kapellmeister Prof. Bloomstedt die Schirmherrschaft übernahm. Auch hier schulterten zwei Lehrer, Frau Pöppl und Herr Kruppa, die Organisation. Die Leipziger Volkszeitung, vertreten durch Bert Endruszeit und Andre Kempner, berichtete am 14. Juni in einem halbseitigen Artikel mit Foto über die Projekttage: "Globalisierung als Chance sehen".

 

Weiter zur Durchführung

 

 

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