Erstmals publiziert in der Kulturzeitschrift info3
"Den Ozean als Autobahn und die Welt als Einheit denken"
Sumerische Stufenpyramiden auf den Kanarischen Inseln? Vorgeschichtlicher Schiffsverkehr zwischen den frühen Mittelmeerkulturen, dem Zweistromland Mesopotamien und den vergangenen Hochkulturen Indiens, Süd- und Mittelamerikas? Unsere Welt wird von Tag zu Tag kleiner und bleibt dennoch voller Überraschungen. Zu Weihnachten 1997 öffnete das Ethnographische Museum und der Pyramiden-Park von Güimar auf Teneriffa seine Pforten. Stephan Mögle-Stadel traf noch vor der Eröffnung mit dem Initiator des Projektes, den norwegischen Anthropologen Dr. Thor Heyerdahl, zusammen, welcher als langjähriger Vize-Ehrenpräsident von WFM-International zur Zeit an einem neuen Buch über Globales Bewußtsein arbeitet.
Güimar.
Ein kleines Dorf an der Südostküste von Teneriffa gelegen.
Von der Insel-hauptstadt Santa Cruz kommend, sieht mensch nach einer
halbstündigen Fahrt auf der Inselautobahn Richtung Playa de las
Américas den 276 m hohen Vulkanberg von Güimar. Der schmale
Weg durch die Gassen hinauf zu dem über dem Dorf gelegenen Pyramidenareal
ist noch nicht ausgeschildert. Die ausdauernde Suche endet an einem
großen Bauzaun. Ich werde erwartet. Eine braungebrannte, hochgewachsene
und weißgekleidete Gestalt löst sich aus dem Trubel der Bauarbeiten
und kommt mir dynamischen Schrittes entgegen, blaugraue Augen und eine
asketisch-aristokratische Physiognomie mustern mich aufmerksam und dann
streckt sich mir starker Hände Druck entgegen. Der 83-jährige
Thor Heyerdahl: Anthropologe, Seefahrer, Archäologe und Bestsellerautor,
zaubert ein Großes-Jungen-Lächeln auf seine Lippen, während
er einige Baustellenanekdoten über die Notwendigkeit des Bauzaunes
und anderer Maß-nahmen erzählt. Diese dienen zum einem, dem
Schutz vor Diebstahl von Pyramiden-steinen und sollen zum anderen eine
gewisse Art von "Esoterikern" davon abhalten, den Ausgrabungsort
in eine neuzeitliche Kultstätte zu verwandeln. (Eine Anspielung
auf die auch auf Teneriffa zugezogene Sonnentemplersekte.) Der am 6.
Oktober 1914 im norwegischen Larvik, nahe Oslo, als Sohn eines Brauereibesitzers
und einer Heimatmuseumsdirektorin Geborene entfloh vor 60 Jahren, 1937/38,
als 23-jähriger Student (Zoologie und Geographie) der modernen
"Zivilisation" auf die Südseeinsel Fatu Hiva. Zusammen
mit seiner damaligen Frau Liv fand der zivilisationsmüde Hochzeitsreisende
dort Steinwerke, die ihn an Skulpturen aus der Vor-Inkazeit in Peru
erinnerten. Der Aussteiger beendete nach einem Jahr seinen Inselaufenthalt
und das Manuskript seines ersten Buches >Fatu Hiva - Zurück
zur Natur<. Dieser zufällige Fund war der erste Stein für
die mittlerweilen bestätigte Hypothese, daß Polynesien nicht
von Asien, sondern von einer Vor-Inka-Kultur Südamerikas aus besiedelt
wurde. Heyerdahl forschte weiter und puzzelte, neben anderen Indizien
wie die Gleichheit mathematischer Systeme und Schädeloperationstechniken,
die Pyramiden in Meso-potamien, Ägypten, auf Malta und den Kanaren
mit den Pyramiden in Mittel- und Südamerika zusammen. Das Ergebnis
wies auf einen regen Schiffsverkehr in den, der modernen Geschichtswissenschaft
noch weitgehend unbekannten Anfängen der frühsten Hochkulturen
hin. Um seinen lachenden Professoren zu beweisen, daß ein solcher
Schiffsverkehr selbst mit den einfachsten Fahrzeugen möglich sei,
wenn die Meeresströmungen als verbindende "Motorik" genutzt
werden, unternahm er mehrere Seereisen. Von dem südpazifischen
Mendana-Meeresstrom und günstigen Winden ließ sich der Nachfahre
der Wikinger 1947 mit seinem Balsaholzfloß "Kon-Tiki"
vom peru-anischen Hafen Callao aus nach Tahiti treiben.
Im Mai 1969 und 1970 startete er unter dem Segelzeichen des alt-ägyptischen
Sonnengottes Ra mit den Papyrusbooten "Ra I" und "Ra
II" von Gibraltar aus, über die Kanarischen Inseln, zu seinen
damals spektakulären Atlantiküberquerungen. Damit bewies er,
daß die Ägypter schon Jahrtausende vor Kolumbus, der seine
Reise über die tiefe Weite des atlantischen Ozeanes am 6. September
1492 von den Kanaren aus begann, Zentralamerika erreichen konnten. 1978
segelte er mit dem Nachbau eines sumerischen Schilfbootes von Mesopotamien
(heute Irak) zum indischen Subkontinent und von dort über das Arabische
Meer zum Eingang des Roten Meeres. Da seine, unter der UNO-Flagge segelnde,
internationale Crew infolge von postkolonialen Befreiungskriegen in
Somalia, Jemen und Äthiopien nicht nach Ägypten weiterfahren
durfte, verbrannten sie die "Tigris" als Protest gegen Krieg
und Nationalismus nach Wikingerart vor dem Leuchtturm von Muscha. Was
bewegt einen Menschen, sich auf die Suche nach Beweisen für die
kulturelle Verbundenheit aller frühen Hochkulturen zu machen ?
Die Frage nach einem gemeinsamen Ursprung taucht auf, nach einer vorgeschichtlichen
Kulturepoche, die in den Wellenbergen der biblischen Sinftflut verloren
ging. Wir sitzen im Innenhof seines Landhauses als ich ihm diese Fragen
stelle.
SMS: Ist es in unserem eurozentrisch und materialistisch geprägten Jahrhundert schul-wissenschaftlich nicht ungefährlicher zu behaupten, die frühen Mittelmeervölker konnten via Gibraltar nach Süd- und Mittelamerika segeln, anstatt die Ahnung faktisch belegen zu müssen, daß der gemeinsame Ursprung der Hochkulturen Ägyptens, Meso-potamiens, des Industales und des amerikanischen Kontinents in einem, in den Tiefen des Atlantik versunkenen Inselreich namens Atlantis lag ?
Thor: Gut, lassen Sie uns mit des
Pudels Kern beginnen. Wir graben, auf der stillen Suche nach unserer
menschheitsgeschichtlichen Identität, und erwarten, daß jede
Zivilisation wie ein Baum an dem Ort gewachsen ist, an dem wir sie finden.
Ich wollte mit meinen Forschungen zunächst zeigen, daß Zivilisationen
sich wie Samen durch Wind und Wasser um die ganze Erde verbreiten, wenn
der Stammbaum erst einmal ausgewachsen ist und in voller Blüte
steht. Wenn sich der Untergang einer atlantischen "Superzivilisation"
tatsächlich ereignet hat, und sehr alte Überlieferungen deuten
darauf hin, dann wäre es nur natürlich, gleich einem Baum
angesichts eines sich rasch nähernden Waldbrandes, wenn dieser
"Stammbaum" der modernen Menschheit angesichts einer kontinentalen
oder sogar globalen Katastrophe Samen in den Wind der
Weltmeere ausschüttet. Wir wissen zwar, daß die menschliche
Spezie seit mindestens zwei Millionen Jahren auf diesem Planeten lebt.
Und dies ist verdammt viel Zeit für vieles. Aber wir wissen hingegen
nicht, warum vor cirka 5.000 Jahren überall auf der Erde fast gleichzeitig
Hochkulturen entstanden sind bzw. sich erst ab diesen Zeitpunkt geschichtlich
nachweisen lassen. Und auch dies gibt verdammt viel Raum für verschiedene
Hypothesen.
SMS: Die Kanaren selbst, sagen einheimische Legenden (und auch der Lithopunkteur Marko Pogacnik, Anm. Autor), sollen in Folge einer solchen atlantischen Katastrophe entstanden sein. Könnte es einen Zusammenhang geben zwischen ihren Forschungen nach vorgeschichtlichen Seewegen und der Mythologie von Atlantis ?
Thor: Nicht unmittelbar. Mit den heutigen, naturwissenschaftlichen Erkenntnissen läßt sich über einen versunkenen Inselkontinent nun einmal wenig aussagen. Zumal Katastrophen globalen Ausmaßes, welche wir in den Mythologien aller frühen Hoch-kulturen geschildert finden, die materiellen Spuren in Raum und Zeit verwischen. Sehen Sie, die ägyptischen Pyramiden wurden im Laufe der Zeit nicht größer, sondern kleiner. Die mächtigsten waren jene aus den im Halbdunkel liegenden Zeiten des frühen "Alten Reiches". Gleiches gilt für die Stufenpyramiden Mesopotamiens. Denken Sie an den legendären "Turmbau zu Babel", welcher durchaus eine gigantische Pyramide gewesen sein könnte. Und auch die berühmte Inkakultur erreichte bauwerklich nie die kulturelle Höhe der Vor-Inka-Kulturstätte Tiahuanaco (Titicacasee) oder der Pyramiden von Tucume. Die späteren kulturellen Entfaltungen sind also vielleicht gar keine Weiterentwicklungen, sondern nur Nachahmungen und eher ein Fort-Schritt im Sinne eines Rückschrittes. In Platons zweitem Dialog "Kritias" wird u.a. die Begegnung des Solon in der alten ägyptischen Stadt Sais mit einem hochbetagten Priester geschildert. In den mittlerweilen verstummten Tempeln wurde damals noch die Überlieferung eines vor über 10.000 Jahren versunkenen Inselreiches jenseits von Gibraltar gepflegt. Die Worte, welche dieser alte Ägypter dem Solon ins Reisetagebuch diktierte, sind auch für den moderenen Europäer von Bedeutung. (*) "Ach, Solon! Ihr Hellenen bleibt doch immer Kinder ... Jung in den Seelen seid ihr alle ... denn ihr hegt in ihnen keine tiefe, auf altertümliche Erzählungen gegründete Weltsicht, noch ein durch die Zeiten ergrautes Wissen."
SMS: Gibt es auch noch anderen Orts Überlieferungen zu einer vorsintflutlichen Zivilisationgeschichte der Menschheit ?
Thor: Nun, auch auf der anderen Seite des Atlantik besaßen die Priester der Azteken und der Maja wohl in Hieroglyphen geschriebene Berichte über ein im Atlantik versunkenes Land, welches sie "Aztlan" nannten. Der aztekische Adel sah sich selbst als Nachfahren dieser atlantischen Menschen. Leider wurden die meisten Berichte von den katholischen Spaniern vernichtet. Und auch die frühe Induskultur kennt die Sage von Manu, welcher nach einer großen Katastrophe kulturelles Wissen und Weisheit nach Bharat (Eigenname Indiens, Autor) brachte. Aber bevor sie mich demnächst fragen wollen, ob ich ein reinkarnierter Atlantier auf der archäologischen Identitäts-suche bin (Thor Heyerdahl lacht herzlich auf bei dieser eleganten Ironisierung meiner vermeintlichen Gedankengänge und ich lasse, gleichsam lächelnd, diese Frage offen. Anm. Autor), müssen sie erst einmal das Tonband abschalten. Im Ernst: Eigentlich interessiert mich die unter dem Sand der Wüsten oder den Wassermassen der Welt-meere verborgene Vergangenheit primär nur als Lehrmaterial für die zukünftige Gestaltung der Menschheitsgeschichte. Unsere genaue Erkenntnis soziokultureller Geschichtsabläufe kann überlebenswichtig sein. Es gab Dutzende von Hochkulturen. Sie erreichten einen Gipfelpunkt, waren wahrscheinlich sicher, daß sie für immer existieren würden, und verschwanden wieder. Wir sollten also aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen. Heute, im Zeitalter der wirtschaftspolitischen Globalisierung gibt es immer mehr nur noch eine einzige, multikulturelle Weltzivilisation. Wenn diese in sich zusammenstürzt, dann dürfte dies eine ähnliche Katastrophe werden, wie jene Sintflut, welche vielleicht Atlantis verschlang.
SMS: Wir sind ja gerade erst an der technologisch-psychologischen Schwelle, um bestenfalls soetwas wie eine multikulturelle Weltzivilisation zu entwickeln. Diese Entwicklung scheint mir durch den anachronistischen Nationalismus, den gruppen-egoistischen Rassismus und konfessionellen Dogmatismen auf das Schwerste gefährdet. Damit kommen wir auf eine andere Seite Ihres Wesens zu sprechen. Sie segelten ja unter der UNO-Flagge, waren zusammen mit UN-Generalsekretär Sithu U Thant und Prof. Issac Asimov Gründungsmitglied der kosmopolitisch engagierten Planetary Citizens und erhielten als WWF-Treuhänder und Meeresschützer 1978 den Internationalen Pahlevi-Preis. Was bedeutet für Sie an der Zukunft arbeiten ?
Thor: Aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, um heute die werdende Welt-gesellschaft zukunftsfähig zu gestalten. Die Wirtschaft ist der Politik und der Rechts-staatlichkeit weit vorausgeeilt. Um die weltweite Umweltzerstörung zu stoppen, brauchen wir aber auch eine globale Umweltgesetzgebung und rechtsstaatliche Organe, welche die Weltmeere und die Biosphäre schützen können. Als archäologischer Seefahrer konnte ich schon in den 60 er Jahren die rapide zunehmende Meeres-verschmutzung beobachten und U Thant warnen, welcher 1971 die erste UN-Umwelt-schutzkonferenz nach Stockholm berief. Die Weltmeere sind noch immer ein rechts-freier Raum, in den jeder Öltankerbesitzer und Chemiekonzern ungestraft seinen Müll kippen kann. Es ist aber auch eine geschäftstüchtige Schizophrenie, geboren aus der Not der postkolonialen Verschuldungskrise, wenn z.B. die brasilianische Regierung den Multinationalen Konzernen anbietet, ihre Abfälle kostengünstig legalisiert vor der einheimischen Küste zu verklappen, wohl wissend, daß die dortige Meeresströmung den Giftmüll wieder Richtung USA und Europa spülen wird. So kehren eben alle Probleme, die wir auf diese Art zu verdrängen versuchen, wieder zu den Verursachern zurück. (Eine Art geophysikalische Erdkarmawirkung. Anm. Autor) Das einzige, was uns und die Biosphäre noch retten kann, ist die juristische und weltpolitische Konkretisierung eines Planetarischen Verantwortungsbewußtseins.
SMS: Sie kämpfen nun schon fast Ihr ganzes Leben gegen die Vergiftung der Weltmeer und die Zerstörung unserer Biosphäre. Was ist für Sie der Grund, daß die Mehrzahl, ich sage bewußt: der Leute, sich weiterhin mit unverminderter Geschwindigkeit auf den ökologischen Abgrund zubewegt ?
Thor: Entweder sind wir mehrheitlich total ignorant oder es ist eine sehr große und dunkle Geldmacht mit im Spiel, welche eine solche destruktive "Entwicklung" verursachen will. Vielleicht kommt auch beides zusammen. (Heyerdahl deutet Richtung Meer.) Der Ozean war schon immer eine Autobahn und wir müssen die Welt wieder als Einheit denken lernen. Nur wenn wir diese offene Weite lieben und begreifen, daß sie die Zukunft unserer Vergangenheit ist, werden wir vielleicht noch den Willen aufbringen, sie und uns selbst vor unserer Schattenwirtschaft zu retten. Ohne eine neue Art von gleichermaßen verteilter Verzichtsleistung auf materiellen Überkonsum wird dies aber nicht gelingen. Und dies ist vielleicht die Botschaft des Jahrtausends: wir selbst sind der Feind.
___________________________________
Gegen Ende unseres Gespräches zeigte mir Thor
Heyerdahl die hinter Glas an einer weißen Wand seines Arbeitszimmers
hängende und schon angegilbte Originalkopie eines Telegramms vom
3. April 1978 an den damaligen UN-Generalsekretär: "Die internationale
Mannschaft des Schilfbootes Tigris dankt dem Generalsekretär für
die Erlaubnis, daß wir unter der Flagge der Vereinten Nationen
segeln konnten. (...) Uns war eine Reise in die Vergangenheit vorbehalten,
um die Eigenschaften eines frühgeschichtlichen Schiffstyps zu erforschen,
der aufgrund alter sumerischer Vorbilder gebaut wurde. Und es war gleichzeitig
eine Reise in die Zukunft, um zu zeigen, daß keine Raum zu eng
ist für die friedliche Koexistenz von Menschen guten Willens, die
an ihrem gemeinsamen Überleben arbeiten. (...) Als wir an Bord
unseres Schilfbootes gingen, waren wir uns bewußt, daß wir
gemeinsam sinken oder überleben würden, und dieses Wissen
verband uns (...) Wir haben gezeigt, daß die frühen Bewohner
Mesopotamiens, des Industales und Ägyptens die ältesten bekannten
Hochkulturen der Menschheit begründen konnten, weil sie sich ...
vor über 5.000 Jahren die Vorteile eines kulturellen Austausches
von Ideen und Gütern zunutze machten. (...) Wir verbrennen heute
unser Segelschiff, um gegen die Unmenschlichkeit in der Welt von 1978
zu protestieren. (...) Unser Planet ist größer als die Schilfbündel,
die uns über das Weltmeer getragen, und doch klein genug, sich
den gleichen Gefahren im Weltenall auszusetzen, falls die noch Lebenden
keine Augen und keinen Sinn für die Notwendig-keit einer globalen
Zusammenarbeit entwickeln, um unser weltweites Kulturerbe davor zu bewahren,
in den dunkelblauen Tiefen menschlicher Verantwortungslosigkeit zu versinken."
Stephan Mögle-Stadel